Vierteiliges Modell Körper-Emotionen-Intellekt-Geist in der Aufstellungsarbeit mit schwer traumatisierten Klienten
Natalia Spokoinyi
Wiederherstellung der Persönlichkeitsintegrität[1] in Fällen von Inzest, Vergewaltigung und anderen schweren Fällen.
In diesem Artikel möchte ich eine Methode vorstellen, die von mir aufgrund persönlicher aufstellerischer, therapeutischer und geistiger Erfahrung entwickelt wurde, um mit Klienten mit tiefgreifenden, durch Gewalt, Inzest, schwere Verluste etc. verursachten Traumen zu arbeiten.
Es geht um die Möglichkeit und besondere Wirksamkeit der Anwendung der Systemaufstellungen für die Arbeit mit schwer traumatisierten Klienten. Außerdem stelle ich hier ein besonderes Modell für den in solche Aufstellungen vor. Die Arbeit mit den inneren Anteilen der Persönlichkeit wie Körper, Emotionen, Intellekt und Geist, ermöglicht dem Klienten sich mithilfe einer Metapher von einem neuen Blickwinkel anzuschauen und die traumatisierten Anteile zu beobachten. Dem Therapeuten gestattet sie hingegen das unterbewusste Widerstreben des Klienten zu umgehen und hilft das Anliegen für die Aufstellung zu formulieren. Dieser Schritt wiederum ist entscheidend um die optimale Ressource für die Aufstellung zu erhalten und eine harmonische Interaktion der inneren Teile zu erwirken, die zum harmonischen Zusammenspiel der inneren Teile und letztendlich zur Wiederherstellung der Persönlichkeitintegrität führen. Zudem wird auch gezeigt, dass der Geist eine zentrale Rolle im Modell spielt und alle anderen Teile sich nach ihm richten. Ich nenne diesen Ansatz „Methodik der geistig orientierten Aufstellungen„.
Seit fünf Jahren, in denen diese Methodik eingesetzt wurde, sind auf ihrer Basis mehr als 1000 Aufstellungen durchgeführt worden. Der Ansatz wurde in der Arbeit mit Klienten verschiedener Alter, Geschlechter, Nationalitäten, Glauben, mit unternschiedlichen intellektuellen und geistlichen Hindergründen sowie Problemen, Symptomen und Traumata angewandt. Beim Internationalen Institut der Systemaufstellungen in Berlin (IIS-Berlin) wurde eine Lehr- und Forschungsgruppe gegründet, die sich mit der praktischen Anwendung dieser Methodik auseinandersetzt. Unter russischen Therapeuten ist die Methode bereits wohlbekannt, nicht zuletzt, da sie breite Resonanz bei diversen Kongressen erhielt.[2] Neben meinen eigenen Beiträgen, teilten auch andere Vortragende der Sektion „Lösungsorientierte Kurzzeit-Trauma-Therapie und Wiederherstellung der Persönlichkeitsintegrität“ erfolgreiche Erfahrungsberichte, insbesondere in Situationen in denen klassische Ansätzen versagten. Es wurden zahlreiche Beispiele vorgestellt, wo die Klienten nach der Anwendung des Ansatzes in der Therapie, einen Paradigmenwechsel erlebt haben: «Heute habe ich mit dem Thema Sucht gearbeitet. Die Methodik von N. Spokoinyi – Körper-Emotionen-Intellekt-Geist – hat mir sehr dabei geholfen. Zuerst war in der Aufstellung eine große Unschärfe und Trägkeit, aber als ich die vier Anteile aufgestellt habe, ging alles sofort bergauf», – so Andrej Mechantjew, ein IIS-Berlin Student[3].
Neugier an meiner Methodik zeigen auch immer mehr deutsche Kollegen. Im August 2014 habe ich ein Einführungsseminar für die DGfS Regionalgruppe Rheinland-Pfalz/Saarland durchgeführt. Um diesem Interesse meiner internationalen Kollegen gerecht zu werden, habe ich den Algorhythmus meiner Arbeit in deutsch und englisch verschriftlicht.
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Den Klienten, die unter Folgen der schweren Traumata leiden, werden üblicherweise nicht Systemaufstellungen, sondern verschiedene andere Formen der Traumatherapie empfohlen, die sehr langsam, Schritt für Schritt, in homöopathischen Dosen das Trauma heilen und sich über längere Zeiträume erstrecken. Dementsprechend verlangen sie dem Klienten einen beträchtlichen materiellen und zeitlichen Aufwand ab, weshalb der Entschluss dazu nicht leicht fällt. Derartig in ihr Trauma verstrickte Menschen befinden sich in einem unterdrückten, freudlosen Zustand, der durch das Fehlen eines nennenswerten therapeutischen Ergebnisses noch verstärkt wird. Wenn man berücksichtigt, dass die Arbeit an sich selbst neben dem erheblichen Kostenaufwand auch eine intensive innere Anstrengung bedeutet, ist es nicht verwunderlich, dass ein Mensch in einer solchen Lage selbst die Hoffnung auf eine Besserung verlieren kann. Daraufhin vertieft dieser sich weiter in den posttraumatischen Zustand, verzichtet auf weitere Heilungsanstrengungen und verfällt in schwere Depressionsformen bzw. Suchtverhalten.
Darüber hinaus führen auf langsamen Fortschritt angelegte Therapieformen bei besonders schweren Fällen (z.B. schwere Erkrankungen, Anfangsstadium Schizophrenie) nicht immer zu sofort erkennbaren Ergebnissen.
In meiner Praxis habe ich Klienten erlebt, die bereits verschiedene Heilungsmethoden ausprobiert hatten und Ihre Behandlungen bei anderen Therapeuten als gescheitert ansahen. Aus meiner beruflichen Erfahrung mit solchen Klienten erkannte ich, dass ich einem Menschen nur dann wirksam helfen kann, wenn ich auf die Arbeit in homöopathischen Dosen verzichte und mit dem Klienten von Anfang an sichtbare, große Schritte bei der Aufstellung anstrebe. Nur auf diese Weise, nachdem der Klient intensive Veränderungen wahrgenommen und genügend innere Kraft geschöpft hat, gelingt es ihm leichter, erneut ins Leben zurückzukehren und weiter am eigenen Trauma zu arbeiten. Da aber meine Suche nach Informationen über die passenden Herangehensweisen hierfür in den vorhandenen Quellen zur aufstellerischen Arbeit kein befriedigendes Ergebnis brachte, stand ich vor der Herausforderung, eigene Methoden des Zugangs zu derartig schweren Fällen zu entwickeln.
Methodenentwicklung
Zunächst galt es die Gründe für das Scheitern von Aufstellung mit besonders traumatisierten Klienten zu erforschen. Durch meine Praxis entdeckte ich, dass der Klient nach einem Fortschritt oftmals einen „Rückfall“ erleidet. Nicht selten kam es vor, dass dieser zuerst mit dem Ergebnis der Arbeit sehr zufrieden war, reale Veränderungen in sich selbst und in seiner Umwelt erkannte, sich aber nach einiger Zeit von der neuen Ressource distanzierte, die durchgeführte Arbeit entwertete und sich sogar über den Therapeuten zu ärgern begann.
Zur Illustration will ich ein Fallbeispiel anbringen, das mit besonderer Deutlichkeit die Schwierigkeiten der Anwendung von klassischen Familienaufstellungen in Fällen schwerer Traumen zeigt:
Einer meiner Klienten (C.) hat sich mit der Diagnose Prostatakrebs an mich gewandt. Wir haben mit ihm zwei sehr intensive Sitzungen durchgeführt, wonach sich sein Zustand schlagartig verbesserte: der Tumorwachstum hielt an, reduzierte sogar seine Größe (dies wurde von der behandelnden Ärztin dokumentiert, woraufhin die Medizinerin so beeindruckt war, dass sie persönlich zu den Aufstellungen erschien, um sie unmittelbar zu erleben).
In der ersten Therapierunde sind wir auf den Großvater des Klienten gestoßen, der als wichtige Führungskraft in Stalins Apparat gearbeitet hatte. Der Klient stellte fest, dass auf dem Gewissen des Großvaters vermutlich viele Menschenleben lasten, was sich durch die Aufstellung bestätigt hat. C. äußerte große Wut gegen seinen Großvater und hielt ihn für einen Verräter und Mörder. Im Laufe der Aufstellung aber wurde dem Klienten schließlich möglich, den Großvater als positive Kraft anzunehmen und die Tatsache zu akzeptieren, dass dieser unfreiwillig in seinen Handlungen und dem System unterworfen war.
In der zweiten Runde sind wir tiefer vorgedrungen und deckten in der fünften und sechsten Ahnengeneration ernsthafte Dynamiken auf, einschließlich Inzest. Als religiöser Mensch, der sich strikt an Moralvorschriften hält, war mein Klient zuerst schockiert, gelangte jedoch später zur Einsicht, dass er ohne diesen Inzest aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geboren worden wäre. Die Einsicht ermöglichte ihm, sich vor dieser Last und vor denen, die sie zu tragen hatten, zu verbeugen. Dadurch erhielt er Ressourcen. Der Klient befand sich infolgedessen in einer Hochstimmung und unterzog sich bald darauf einem medizinischen Test mit dem besagten Ergebnis. Später distanzierte er sich aber, kam nicht mehr zu den Gruppensitzungen, und in der persönlichen Interaktion (wir sind Bekannte) bezeichnete er alle seine Großväter als Unmenschen.
Nachdem ich eine Reihe weiterer ähnlicher Rückfälle in meiner Arbeit beobachtet habe, verinnerlichte ich nun vollends, warum andere Therapeuten und Aufsteller die langsame Vorgehensweise bei Klienten mit schweren Traumata vorziehen. Dennoch habe ich mich entschieden, nicht aufzugeben und auf große Schritte bei der Arbeit mit solchen Klienten nicht zu verzichten.
Als erstes habe ich mir die Frage gestellt, was genau bei dem Klienten nach solch einem radikalen Fortschritt geschieht. Meiner Erkenntnis nach tritt er in einen neuen, für ihn noch unbekannten, Raum ein und erfährt dort zunächst eine erstaunliche Fülle an Kraft und Freude, ja eine Art Euphorie. Er will sofort den nächsten Schritt machen, in Erwartung eines weiteren vergleichbar starken Effekts, ohne sich zuerst im neuen Raum zurechtzufinden und ohne das Wissen, in welche Richtung er sich eigentlich weiterbewegen soll. Empfehlenswert wäre, sich in dieser Phase zunächst zu orientieren und sich an die neuen Ressourcen zu gewöhnen. Der Klient aber, von den ersten Erfolgen der Aufstellung beflügelt, möchte eine sofortige Fortsetzung im gleichen Tempo, wofür seine inneren Ressourcen noch nicht ausreichend sind. Dies führt allerdings dazu, dass anstelle des Fortschritts ein Gefühl der Leere und der Kraftlosigkeit eintritt. So verliert der Mensch allmählich den Glauben an sich und den Therapeuten. So war es auch bei dem aufgezeigten Beispiel.
Eine weitere Analyse der eigenen Arbeit hat mir gezeigt, dass gute Ergebnisse nur dann erzielt wurden, wenn der Sitzung ein konkretes Anliegen zugrunde lag, welches für den Klienten zum Beginn der Aufstellung vordergründig aktuell war. Allerdings ist es ausgesprochen schwierig für derart belastete Klienten, ihr aktuelles Anliegen präzise zu formulieren.
Für Menschen mit einer ernsten inneren Problematik, die auf direkte Gewalteinwirkungen gegenüber ihm oder seinen Nächsten zurückgeht oder den Ursprung in einem tieferen Trauma innerhalb seiner Ahnenreihe hat, sind folgende Symptome charakteristisch: Niedergeschlagenheit, unbewusste Verdrängung, die Neigung, sich selbst und den Therapeuten unbewusst zu „verwirren“ sowie die Unfähigkeit, bewusst zu reflektieren. Letzteres äußert sich insbesondere deutlich in der Sprunghaftigkeit bei der Schilderung verschiedener Aspekte der eigenen Problematik, im Unvermögen, seine konkreten Beschwerden und Hilfebedürfnisse präzise zu nennen. Oder umgekehrt, es werden zu viele Problematiken und Arbeitsrichtungen auf einmal aufgezeigt, während der Klient nicht im Stande ist, darunter die Dringendsten auszusuchen. Dies ist auf ein Selbstschutzmechanismus zurückzuführen, das den Menschen veranlasst, die Traumathematik instinktiv zu verdrängen um sich vor einer Verschlimmerung zu bewahren.
In solchen Fällen wird dem Klienten normalerweise die Aufstellung verweigert, denn es hat keinen Sinn ohne ein konkretes Anliegen und ohne die Energie, die einem präzisen Anliegen innewohnt, zu arbeiten. Darüber hinaus kann sich dies negativ auf die ganze Gruppenarbeit auswirken.
Ich habe mir folglich als Ziel gesetzt, einen Mechanismus auszuarbeiten, der dem Klienten verhelfen könnte, ein effektives, auf das Leben hin gerichtetes Anliegen für die Aufstellungsarbeit zu formulieren. Bei der Entwicklung eines solchen Mechanismus griff ich auf meine geistige und theologische Erfahrung zurück, die sich als ausgesprochen hilfreich erwies, da ich hierdurch erkannte, dass ich mich mit der Integrität der Persönlichkeit befassen müsse.
Geleitet wurde ich durch die Beobachtung, dass wenn man aus der Figur des Stellvertreters des Klienten den Intellekt ausgliedert und ihn auf eine gesonderte Figur überträgt, das dem Klienten hilft, in der jeweiligen Situation präsent zu sein. Seinem Stellvertreter fällt es dabei leichter, die spezifischen Dynamiken adäquat zu verbalisieren.
Bei dem Interview mit einer Klientin (N.) spürte ich keine Energie hinter ihrem Anliegen, obwohl sie das Thema für sehr wichtig hielt. Auf all meine Versuche, das Anliegen zu präzisieren, reagierte die Klientin mit langen Pausen und schweifte in sekundäre Gefühle ab. Der bereits aufgestellte Stellvertreter der Klientin konnte ebenfalls nicht helfen. Daraufhin „entfernte“ ich symbolisch aus dem Stellvertreter N‘s ihren Kopf, d.h. alles, was mit dem Intellekt und der mentalen Ebene zusammenhängt, und übertrug ihn auf einen gesonderten Stellvertreter. Der „abgetrennte Kopf“ fing sofort an, Luftballons unter der Decke und auf den Stühlen zu zählen, die nach einem Kinderfest in dem Raum zurückgeblieben sind. Der Stellvertreter des verbliebenen Teils der Klientin richtete seinen Blick zum Fußboden. Daraufhin wurde eine weitere Figur eingeführt, auf die der Blick des Stellvertreters N. gerichtet war. Im selben Moment geschah etwas, die Stimmung der Gruppe änderte sich schlagartig. Eine besondere Energie wurde im Raum spürbar. Ziemlich schnell wurde bei dieser Aufstellung eine gute Ressource für die Klientin gefunden. Eine Weile nach dieser Sitzung rief sie mich an, um von entscheidenden positiven Veränderungen in ihrem Leben zu berichten.
Diesem Beispiel folgten weitere ähnliche Fälle, auf denen aufbauend ich die im folgenden Abschnitt beschriebene Methode entwickelte um Anliegen für die Aufstellungen zu formulieren.
Methodenbeschreibung
Das Konzept
Es ist allgemein akzeptiert, dass ernsthafte Traumata zur Zerstörung der Ganzheitlichkeit eines Menschen führen. Teile der Persönlichkeit verharren im Trauma oder werden verdrängt. Die Aufgabe des Therapeuten ist es demnach, dass der Klient diese Teile erkennt, annimmt, lieben lernt und in sich wieder vereint. Erst dann kann man wieder von der Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit sprechen. Diese Überlegung führte mich zur folgenden Erkenntnis: Um jene Verzerrungen aufzuspüren, die durch das Trauma verursacht wurden, ist es zunächst lohnenswert, die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Anteilen, den Persönlichkeitsfacetten und der Seele zu betrachten, um so auch die Störung besser fassen zu können. Dabei ist strukturelle Aufstellungsarbeit mit inneren Anteilen des Klienten im Allgemeinen sehr effektiv. Um dem Trauma entspringende Störungen wirklich wahrzunehmen, ist es notwendig, die unterschiedlichen Facetten der Persönlichkeit und Seele des Menschen anzuschauen. Von meiner geistigen und theologischen Erfahrung geleitet entschied ich mich, das gut bekannte Modell „Körper, Seele, Geist“ zu verwenden, das die innere Dynamik einer gestörten Persönlichkeitsintegrität hervorragend aufzeigen kann. Jedoch zeigte sich in der Praxis, dass es an einem allgemeinen Verständnis für den Begriff „Seele“ fehlt und an dieser Stelle jeder seine eigene Definition zugrunde legt. Um aber möglichst eine einheitliche Auffassung der verwendeten Terminologie zu gewährleisten, spezifizierte ich für meine Methode das Modell weiter.
Mein modifiziertes Modell enthält vier Elemente: Geist, Intellekt, Emotionen und Körper. In dieser Modellvariante wird das diffuse Element Seele demnach durch die spezifizierten Elemente „Emotionen“, „Geist“ und stellenweise „Intellekt“ ersetzt.
In diesem Modell ist:
- Der Körper – alles, was unter den Begriff „physischer Körper“ fällt, auch der physische Zustand des Menschen, sein Organismus und seine Gesundheit.
- Die Emotionen – alles, was der psycho-emotionalen Sphäre zugeordnet wird.
- Der Intellekt – alles, was mit der Ratio, dem Verstand, der Logik und der mentalen Analyse von Eindrücken der Welt zusammenhängt.
- Der Geist – die mächtigste und geheimnisvollste Kraft im Menschen. Darunter versteht man die höchsten Regungen der menschlichen Persönlichkeit, das Empfinden der inneren Religiosität, die Intuition und alle tiefen Gefühle wie Liebe und Mitgefühl.
Ein starker Geist kann eine enorme Selbstsicherheit entwickeln. Der Geist ist es, der jemandem die Kraft verleiht, auch bei größter Angst zu handeln, auch wenn alle sagen, dass es falsch sei. Der starke Geist verleiht dem Menschen das Gefühl der Überzeugung, wie er am besten handeln soll, aber auch die Kraft, dies zu tun.
Ein Vorteil der Arbeit mit Anteilen der Persönlichkeit ist, dass diese Verbildlichung zulässt, diskret und delikat, ohne direkte Konfrontation mit dem Trauma, deren Folgen in Bezug auf die Persönlichkeit im Ganzen und auf jedes der Teile zu studieren.
Nachdem ich diese Methode ausgearbeitet habe und sie anzuwenden begann, wurde mir bewusst, dass Marilyn Murray eine ähnliche Herangehensweise mit Blick auf die Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit verwendet. Sie spricht davon, dass ein Hocker nur auf vier Beinen stabil stehen kann, und diese dabei gleich groß sein müssen. So kann auch die Persönlichkeit des Menschen nur dann stabil sein, wenn alle ihre Elemente in einer engen Verbundenheit, in Gleichgewicht und in Wechselwirkung miteinander koexistieren.
Status Quo
Der Klient wählt fünf Stellvertreter aus – einen für jedes der inneren Anteile und einen für die Persönlichkeit selbst oder den „Fokus“. Anschließend bittet der Therapeut die Stellvertreter einen geeigneten Platz für sich zu finden. Auf diese Weise wird der aktuelle Zustand der Zerrissenheit der Ganzheitlichkeit aufgeworfen: Wie sind welche inneren Anteile traumatisiert? Daraus lässt sich bereits wertvolles Wissen gewinnen. Nicht selten entsteht damit auch gleich Klarheit darüber, welche die ersten Schritte sein müssen, um das System wieder ins Gleichgewicht zu bekommen.
Natürlich muss dem Therapeuten hierfür bewusst sein, wie sich die inneren Anteile im Falle einer nicht traumatisierten, ganzheitlichen Persönlichkeit verhalten würden, um die Abweichung zu erkennen.
Interview
Der Therapeut setzt das Interview mit dem Klienten fort, während die fünf Stellvertreter der Elemente sich dazu frei bewegen können. Die Wirkung der Worte des Klienten auf „Körper“, „Emotionen“, „Intellekt“, „Geist“ und „Fokus“ im Einzelnen und deren Zusammenspiel indizieren dabei das wirklich aktuelle Anliegen und helfen es zu formulieren.
Hypothesen des Anliegens
Basierend auf Punkt zwei formuliert der Klient eine oder mehrere Variationen seines Anliegens für die Aufstellung. Ich empfehle aber, nicht mehr als drei konkurrierende Hypothesen aufzuwerfen.
Hypothesenkurztest
Für jede Hypothese wird im nächsten Schritt ein Kurztest durchgeführt, der aufzeigt, wie effektiv eine Aufstellung mit eben diesem Anliegen die vier inneren Teile integriert und harmonisiert. Während dieses Ergebnis am Ende der Aufstellung durch die Position der Stellvertreter sichtbar wird, kann man im Kurztest mit der Figur der „guten Lösung“ arbeiten. Nacheinander wird für jede Hypothese diese Figur eingeführt, wobei alle inneren Teile sie anblicken und die für sich mögliche Ressource von ihr bekommen sollen, um dann einen passenden Platz für sich zu finden. Ihre Aufstellung und ihr Selbstbefinden geben Aufschluss über die Effektivität einer Aufstellung mit dem jeweiligen Anliegen, wenn diese optimal verläuft.
Auswahl des Anliegens und Aufstellung
Der Therapeut bespricht die Ergebnisse des Kurztests mit dem Klienten und vereinbart hierauf aufbauend das Anliegen um anschließend mit der Aufstellung zu beginnen.
Kontrolle
Im Anschluss an die Aufstellung kann man noch einmal „Körper“, „Emotionen“, „Intellekt“ und „Geist“ aufstellen und das Erreichte im Bezug auf die Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit betrachten und das mit dem Kurztest abgleichen.
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Nach diesem kurzen Abriss der Methodenschritte möchte ich im Folgenden auf jeden einzelnen eingehen und Beispiele anführen.
Auswirkung des Traumas auf innere Anteile (Status Quo)
Meiner Beobachtung nach treten bei der Anwendung des von mir entwickelten Prinzips allgemeine Tendenzen auf, wie sich die einzelnen inneren Teile in Folge schwerer Traumen verhalten. Die folgenden Verallgemeinerungen basieren auf einer mehrjährigen Erfahrung der Methodenanwendung.
Der Körper
Der Körper (Kö) beispielsweise steht gewöhnlich abgesondert von anderen Anteilen, fühlt sich sehr schlecht, was sich auch äußerlich manifestiert: Der Stellvertreter steht entweder gebückt, setzt sich hin oder legt sich sogar auf den Boden. Dabei richtet er oft seinen Blick auf den Geist. Auch die Verbindung des Körpers zu den Emotionen kann in der Regel leicht zurückverfolgt werden: Bei der Annährung des Körpers weichen ihm die Emotionen nicht selten aus, manchmal aber können sie auch an ihm «hängenbleiben». Die hier zur Illustration dienende Abbildung 1 zeigt die Aufstellung der Stellvertreter, wobei die Pfeile die Blickrichtung und die Größe die Dominanz in der jeweiligen Situation verbildlichen sollen.
Die Emotionen
Die Emotionen (E; vgl. Abb. 1) befinden sich dabei ebenfalls in einer schlechten Verfassung und stehen gewöhnlich am Rande, den Blick oft zum Fußboden gesenkt. Sie sind häufig am meisten in Mitleidenschaft gezogen. In diesem Fall bietet es sich an, die Aufstellung so zu beginnen, dass die Figur, auf die die Emotionen blicken, eingeführt und hingelegt wird. Wenn zwischen den Emotionen und den anderen Anteilen eine deutliche Grenzlinie zu erkennen ist, so kann man die Figur direkt auf diese Grenzlinie hinlegen. Danach entsteht in der Regel sofort eine Energie, die der Klient und die Gruppe deutlich wahrnehmen, und damit kann die Aufstellungsarbeit beginnen.
Der Intellekt
Auch wenn alle anderen Anteile auseinanderfallen und sich tief in das Trauma verstricken, hält der Intellekt (I) alleine, wie ein standhafter Zinnsoldat, durch und empfindet erstaunlicherweise selten Unbehagen.
Meiner Beobachtung nach übernimmt gerade der Intellekt in Fällen schwerwiegender Störungen, die beispielsweise durch Gewalt oder Inzest entstehen, die Hauptrolle in der Schutzfunktion des Lebens und der Psyche des Menschen. Bei dem oben beschriebenen Test wird das besonders deutlich: Die Figur des Intellektes ist meist größer als alle anderen Anteile (vgl. Abb.1) und dominiert sie. Dies veranschaulicht, dass ein Mensch in einer solchen Lage gerade diese, d.h. mentale Eigenschaften und Fähigkeiten in seinem Inneren kultiviert – oft auf Kosten der anderen Anteile.
Es sollte nicht unbeachtet bleiben, dass die Funktion, die der Intellekt in einer solchen Situation erfüllt, keineswegs eine negative ist. Die Kontrolle des Intellekts über andere Anteile der Persönlichkeit hilft dem Menschen, sich nicht im Trauma zu verlieren und gibt ihm auf diese Weise einen gewissen Halt. Nach einer gelungenen Therapie aber, wenn die Notwendigkeit, die Psyche und die Persönlichkeit zu schützen, nachlässt oder gar entfällt, kann der Intellekt seine Kontrolle mäßigen und eine harmonischere Position im Verhältnis zu anderen Anteilen einnehmen.
In meiner Arbeit mit Inzestfällen und anderen durch sexuelle und physische Gewalt in der Ahnenreihe verursachten schweren Störungen stoße ich fast immer auf die Tatsache, dass der Klient die Ressource vom Aggressor innerhalb der Familie nicht annehmen kann. Der Klient sagt beispielsweise Folgendes: “Das hätte unter meinen Verwandten nicht geschehen können. Sie waren alle gläubig (rechtschaffen, gütig)”. Während die Aufstellung die unterstellte Dynamik deutlich aufzeigt, findet auch bei dem Klienten und seinem Stellvertreter eine körperliche Reaktion statt, die die aufgedeckte Information der Aufstellung bestätigt. Aber die Loyalität gegenüber der Familie erweist sich stärker als die offensichtlichen Tatsachen. In diesem Fall wende ich mich immer an den Intellekt.
Zum Beispiel kann ich den Stellvertreter auffordern, dem Urgroßvater und Vergewaltiger seiner eigenen Tochter Folgendes zu sagen:
“Lieber Urgroßvater, ich sehe die ganze Last. Meine Seele erzittert, sie kann das nicht akzeptieren. Aber zumindest mit dem Verstand begreife ich, dass ich nie geboren worden wäre, wenn dies nicht geschehen wäre. Und deshalb danke ich dir für das Leben, das mir um einen so hohen Preis zugefallen ist. Und angesichts dieser schweren Last und des hohen Preises, den du für mein Leben gezahlt hast (an dieser Stelle erkläre ich gewöhnlich, dass es viel schwieriger ist, Aggressor zu sein, als Gerechter), neige ich mich voller Liebe und Achtung in einer tiefen Verbeugung.”
Denkt sich der Klient in den Sinn dieser Worte hinein, die eine Tatsache schlicht und einfach konstatieren, denn ohne diesen Inzestfall hätte dieses Mädchen einen anderen Mann geheiratet und unser Klient wäre nicht geboren – erfährt der Klient eine Art Einsicht und bekommt die Kraft, sich zu verbeugen. (Dies fand tatsächlich in meinen Aufstellungen oft statt.) Nach der Verbeugung verringert sich die Größe des Fokus (K). Mit anderen Worten verlässt er sein Postament und kann dem Aggressor/Vergewaltiger direkt in die Augen schauen und dabei entsprechende Ressourcen empfangen. Man kann mit Gewissheit behaupten, dass in diesem Fall der Intellekt vom Wächter zum Mitstreiter wird.
Der Geist
In der Regel gibt der Geist bei diesem Modell den übrigen Anteilen den Ton an. In meinen Aufstellungen konnte ich oft beobachten, dass sich alle anderen Elemente nach den Regungen des Geistes ausrichten: Wo der Geist gesund ist, wird der Körper es ihm gleich tun.
Nach meiner Erfahrung sind Menschen mit besonders schweren psychischen Dynamiken oft sehr feinfühlige und spirituelle Menschen. Bei ihnen übernimmt der Geist die Kontrollfunktion viel intensiver als der Intellekt (vgl. Abb. 2). Dabei gewinnt er an Größe gegenüber anderen Anteilen. Es ist äußerst kompliziert, mit ihnen zu arbeiten. Deswegen erscheint hier die Arbeit mit inneren Persönlichkeitsanteilen als besonders wirksam, ja als eine Gabe, da diese Klienten selbst in der Lage sind zu erkennen, dass ihr Geist in der Regel erheblich von den anderen Anteilen getrennt ist, vor allem vom Körper und von Emotionen.
Ich erlaube mir an dieser Stelle zu bemerken, dass ich viel Erfahrung in der Arbeit mit religiösen Klienten gesammelt habe, die sich mit unterschiedlichen geistigen Praktiken befassen. Für diese ist es immer interessant und aufschlussreich, den eigenen Geist von außen zu beobachten. Mit Erstaunen stellen sie oft fest, dass ihr Geist nicht in Richtung Gott (oder einem seiner Äquivalenten wie Universum, Höhere Vernunft, Schicksal – je nach Wertesystem usw.) blickt, sondern woanders hin. Diese Entdeckung erlaubt ihnen, schneller die Situation zu analysieren und die Ursache dieser Abweichung herauszufinden. Auf jeden Fall steigert diese Erkenntnis ihr Interesse für die eigene innere Konstellation und gibt ihnen neue Energie für weitere Arbeit.
Persönlichkeitsanteile bei Integrität
In besonders harmonischen Varianten gruppieren sich die Persönlichkeitsanteile bei der Aufstellung im Kreis oder Halbkreis. Oder sie bilden eine Kette, sich gegenseitig unterstützend und einander Kraft gebend. Im letzteren Fall führt der Geist die Kette an. Hinter ihm bauen sich der Intellekt, die Emotionen und der Körper auf. Auch die Dominanz der einzelnen Anteile sollte ausgeglichen sein, was in den Abbildungen durch die Größe der geometrischen Formen beschrieben wird.
In der Abb. 3 a,b,c werden verschiedene Varianten der harmonischen Kombinationen von inneren Anteilen dargestellt, welche ich in meiner Praxis beobachtetet habe. Zumeist steht der Klient bei der Reihenaufstellung an einem Ende, kann aber auch auf einer der als gepunktet gekennzeichneten Positionen zu finden sein.
Hypothesenwahl und Kurztest (Schritt 2-4)
Gewöhnlich ist der Widerstand bei den Traumafällen zu stark, deshalb ist die Anwendung eines solchen Modells dafür bestens geeignet, eine schnelle Ressource zu liefern, und zwar nicht um den Widerstand des Klienten direkt zu überwinden, sondern um die Spannung umzugehen und ihre Ursachen zu beseitigen. Unsere therapeutische Aufgabe besteht darin, einen Menschen mit solcher schwerwiegenden Problematik nicht in eine noch mehr traumatisierende Situation zu bringen, in welcher er sich selbst bekämpfen müsste sowie all das, was ihm bis jetzt zum Überleben verhalf.
Nachdem die Anordnung und das Befinden aller Persönlichkeitsanteile des Klienten sowie seines Fokus in dem vorbereitenden Test erfasst und markiert sind, hat es einen Sinn, das Interview mit dem Klienten fortzusetzen, wobei gleichzeitig alle Figuren frei agieren dürfen (Schritt 2). Dabei wird es möglich sein, die Reaktion des Klienten hinsichtlich der aufkommenden Themen umfangreicher zu studieren, sowie deren Wirkung auf ihn – inklusive Wirkungsgrad – zu bewerten. Das zugrunde legend, wählt nun der Klient mit der Unterstützung des Aufstellers die möglichen Anliegen und formuliert sie als Hypothesen (Schritt 3).
Schließlich erfolgt der wichtigste Schritt – ohne mit der eigentlichen Aufstellung zu beginnen, werden die möglichen Anliegen auf ihre Effektivität getestet (Schritt 4).
Oftmals ist es an dieser Stelle erforderlich, die Figur der „guten Lösung“ (Ressource) einzuführen, die als Ergebnis einer erfolgreichen Arbeitssession mit einem zielgerichteten Anliegen zu erhalten wäre. Man bittet anschließend alle Persönlichkeitsanteilen, diese Figur genau zu betrachten, von ihr die nötige Ressource zu empfangen, die Qualität des eigenen neuen Zustandes danach wahrzunehmen und dementsprechend sich auf einen geeigneten Platz in der Aufstellung zu positionieren. Wenn es mehrere unterschiedliche Varianten des Anliegens gibt (ich empfehle nicht mehr als drei Hypothesen), empfiehlt es sich, diese nacheinander zu erproben und jedes Mal dabei festzustellen, wie sich die allgemeine Situation ändert.
Auf der Basis der Beobachtungen, wie sich die Lage und das Befinden der Persönlichkeitsanteile und des Fokus gegenüber der ursprünglichen Variante (vor dem vorbereitenden Test) verändert, können in einem relativ kurzen Zeitraum, noch vor der eigentlichen Aufstellung, Schlussfolgerungen zu ihrer Effektivität für jede der Variante des Anliegens gezogen werden. Bei der endgültigen Wahl des Anliegens sollte man sich daran orientieren, wie harmonisch sich die Persönlichkeitsanteile nach der Einführung der Figur der guten Lösung zusammenfügen.
Beispiel
Als Beispiel wählen wir eine Situation, die auf der Abb. 1 dargestellt ist. Nehmen wir an, dass nach dem Vorgespräch mit dem Klienten drei mögliche Anliegen für die Aufstellung entstanden sind: A, B und C. Nach der Testdurchführung mit der Figur der guten Lösung haben wir jeweils eine Situation, die auf den Abb. 4A, 4B und 4C dargestellt sind (einfachheitshalber ist die Figur der guten Lösung auf den Abbildungen nicht dargestellt).
In der Variante A (Abb. 4a) sehen wir, dass sich Emotionen zunächst zum Klienten hinwenden und alle anderen Anteile auf die Emotionen blicken; der Klient selbst aber, der zuerst seinen Blick gegen den Boden gerichtet hat, nun zum Intellekt aufblickt. Ein solches Arbeitsergebnis eröffnet dem Klienten die Möglichkeit, eine leichte Bewegung in Richtung Leben zu vollziehen, während sich der Intellekt etwas zurücktritt und sich gemeinsam mit dem Geist zu den „leidenden“ Emotionen hinwendet, seine Kontrolle lässt dabei nach.
In der Variante B (Abb.4b) konnte der Klient als Ergebnis der Aufstellung sowohl in die Richtung der Emotionen, als auch in Richtung des Geistes und des Intellektes hinschauen. Das ermöglichte den Emotionen, sich umzudrehen und den Klienten zu betrachten, während der Körper die Gelegenheit hatte, den anderen Anteilen näher zu kommen und die Emotionen anzuschauen. Der Intellekt konnte sich entspannen, hat seine Dominanz eingebüßt und sich von der Gruppe weiter entfernt, wodurch eine Bewegung aller Persönlichkeitsanteile zueinander hin entstehen konnte. Aus diesem Grund würde ich diese Variante als am meisten erfolgsversprechend wählen.
In der Variante C (Abb. 4c) konnten zuerst der Klient und dann der Geist und der Körper auf den Intellekt blicken, wie auch in der Variante A. Die Emotionen konnten sich zum Geist wenden und ihn ansehen. Als Reaktion darauf verkleinerte sich der Intellekt und trat zurück, mal auf den Klienten, mal zu den Emotionen schauend. Das ist zwar ein befriedigendes Ergebnis, aber aus meiner Sicht nur ein Vorläufer der Variante B.
Auswahl des Anliegens (Schritt 5)
Um das Anliegen final auszuwählen, bleibt noch mit dem Klienten zu klären, welche Richtung er einschlagen möchte und warum. Im Falle der Differenzen mit dem Therapeuten kann man mit dem Klienten erörtern, was der Klient selbst in jedem einzelnen Kurztest sieht und gemeinsam die Richtung für die weitere Arbeit bestimmen.
Sollten sich die Varianten, die der Therapeut und der Klient ausgesucht haben, nicht zu stark voneinander unterscheiden, gehe ich in der Regel auf den Wunsch des Klienten ein. Spricht sich jedoch der Klient eindeutig für eine suboptimale Variante aus, kläre ich die Gründe für diese Entscheidung, indem ich das Testmodell noch gelten lasse und allen Stellvertretern von Persönlichkeitsansteilen und dem Fokus Bewegungsfreiheit einräume. In solchen Fällen stellt sich gewöhnlich heraus, dass der Klient etwas nicht gesehen oder nicht verstanden hat, oder aber in seiner Seele noch etwas Wichtiges unausgesprochen geblieben ist, was wir nicht ermitteln konnten. In diesem Fall besprechen wir diese Tatsache. Weiter hängt alles davon ab, inwiefern der Klient bereit ist, sich „zu öffnen“. In einigen Fällen ist der Widerstand so groß, dass ich den Aufstellungsantrag ablehne und die Standartmethoden der Psychotherapie empfehle. Das kommt jedoch äußerst selten vor.
Auf diese Art und Weise kann man innerhalb eines kurzen Zeitraums (max. 15-20 Min seit dem Beginn des Interviews) die Effektivität der unterschiedlichen Aufstellungsvarianten mit einem konkreten Klienten erproben. Weiterhin eröffnet sich hierdurch die Möglichkeit, ohne Energieverluste vom Prüfungsmodell direkt zur Aufstellung überzugehen. Die Figuren der Anteile kann man dabei entlassen und nur die Figur des Fokus im Arbeitsfeld dabehalten. Manchmal kann man je nach Ermessen des Aufstellers bei der Klärung des Anliegens und der Überprüfung von möglichen Varianten zusätzliche Figuren einführen (Mitglieder des Systems oder abstrakte Elemente). Dies ermöglicht beim Übergang zur Aufstellung die wichtigen Elemente beizubehalten, was die Aufstellung vereinfacht und Zeit spart.
Kontrolle (Schritt 6)
Im Anschluss an eine Aufstellung stellt sich immer die Frage, wie man deren Wirkung messen kann. Der generelle Erfolg einer Aufstellung ist nicht im Fokus dieses Artikels, denn dieser lässt sich erst nach einer erfolgreichen Implementierung der Ergebnisse in das Leben feststellen. Doch sollen hier ein paar Worte zu Prüfung der Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit in Folge der Aufstellung geschrieben werden. Da bei einem Trauma eben diese Ganzheitlichkeit versehrt wird, was bei der Aufstellung der inneren Anteile deutlich wird (Status Quo), so sollten Körper, Emotionen, Intellekt und Geist, sowie die Figur des Fokus nach der Aufstellung ein harmonischeres Bild abgeben. Die Veränderung zwischen Anfangs- (Status Quo) und Endposition (Kontrolle) gibt den Grad des möglichen Erfolgs an.
Während dies für den Klienten das wesentliche Ergebnis ist, so war es für mich persönlich natürlich auch von großer Bedeutung, die Wirksamkeit meiner Methode zu testen. Dazu ist es wichtig die Kontrollaufstellung der inneren Anteile nicht nur mit dem Status Quo zu vergleichen, sondern vor allem mit den Kurztests aus Schritt 4. Mein Erfahrungsschatz von etwa drei Jahren zeigt, dass der Kurztest mit der ausgewählten Hypothese so gut wie immer mit dem am Ende durchgeführten Kontrolldurchlauf übereinstimmt. Das deutet darauf hin, dass man sich bei der Wahl des Anliegens weitestgehend darauf verlassen kann, wie sich die inneren Anteile und der Fokus bei der Einführung der Figur der „guten Lösung“ verhalten.
Ich bemühe mich das jedes Mal zu prüfen, damit der Klient das Ergebnis der Arbeit deutlich erkennen kann, wobei mich die Ergebnisse immer wieder verwundern: Alles stimmt überein, wie in der Mathematik bei der richtigen Lösung eines Gleichungssystems.
Fazit
Die demonstrierte Methode erleichtert nicht nur die Diagnostik, den Einstieg in die Aufstellung und den Beginn der Arbeit mit dem konkreten Problem, sondern stellt auch ein wirksames Hilfsinstrument dar, das Arbeitsergebnis, dessen Erfolg und schließlich die endgültige Effizienz der Aufstellung zu bewerten.
Ich arbeite mit diesem Modell in seiner endgültigen Fassung schon seit mehreren Jahren. Was mich dabei am meisten beeindruckt, ist die Tatsache, dass der Klient mit einem schweren Trauma erstaunlich leicht eine Ressource empfängt, die aus der Aufstellung unter der Anwendung dieses Modells entstanden ist. Darüber hinaus verläuft der Arbeitsprozess wesentlich schneller und einfacher als es in der Traumatherapie überhaupt für möglich gehalten wird.
Logisch ist dieses Phänomen sogar gut nachvollziehbar, wir suchen ja aus allen möglichen Varianten der Arbeit mit dem Klienten gerade jene aus, die zur stärkeren Integrität der Persönlichkeit führen. Daraus folgt dass ein gutes Arbeitsergebnis, das die Spaltung am besten beseitigt und dementsprechend auf den Klienten die heilsamste Wirkung hat. Deshalb kann ein solches Arbeitsergebnis ohne Schwierigkeiten ins Leben integriert werden.
An dieser Stelle muss ich auch erwähnen, dass ich nach einer derartigen Arbeit dem Klienten einige Hausaufgaben erteile und nach seinem Einverständnis zwischen weiteren Aufstellungssessions (gewöhnlich reicht eine einzige Session in solchen gravierenden Fällen nicht aus) andere Arten von Psychotherapie anwende.
Zum Schluss sei bemerkt, dass diese Methode es mir ermöglichte, mit Klienten erfolgreich zu arbeiten, die unter leichten Formen von Schizophrenie, Hautlupus, Hepatitis C und anderen Systemerkrankungen sowie unter Folgen von Inzest, sexueller Gewalt sowie unter zahlreichen anderen schweren Fällen[4].
Die oben geschilderte Methode erlaubt es, mit Klienten zu arbeiten, die bis jetzt praktisch als hoffnungslos galten, was nicht nur die Theorie der aufstellerischen Praxis erweitert, sondern auch – und vor allem das- die praktische Hilfeleistung verstärkt. Das macht die Arbeit eines Aufstellungstherapeuten noch effektvoller als bis jetzt.
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Für alle Rezensionen, Bemerkungen und Vorschläge zur Vervollkommnung dieses Modells wäre ich sehr dankbar. Außerdem danke ich all denjenigen, die bereit und willens sind, diese neue Methode, die ich hier geschildert habe oder auch seine einzelne Elemente in ihrer Arbeit auszuprobieren oder direkt anzuwenden.
Natalia Spokoinyi – Direktor des Internationalen Instituts für Systemaufstellungen (IIS-Berlin)
Frau Spokoinyi ist ein zertifizierter Psychotherapeut des WCP und EAP, ein zertifizierter Lehrtherapeut der Deutschen Gesellschaft für Systemaufstellungen (DGfS). Sie ist ebenso ein Mitglied der russischen Professionellen Psychotherapeutischen Liga und ist als systemischer sexueller Therapeut und Expertin in der Methodik von Marylin Murray bekannt. Ihre theologische Ausbildung hat sie beim Vater Alexander Menya und Georgij Tschistyakov in Russland absolviert.
Kontaktdaten:
Email: n.spokoinyi@gmail.com
Tel: +4930 56583937
Fax: +4930 56583938
[1] Der russische Begriff „целостность личности“ kann ins Deutsche aufgrund seiner Vielschichtigkeit nicht ohne Bedeutungsverlust übersetzt werden. Darunter versteht man die Ganzheitlichkeit, Unversehrtheit und Integrität der menschlichen Identität und Persönlichkeit. Durch schwere Traumata kann diese Ganzheitlichkeit/Integrität verletzt werden, wobei die hier erläuterte Therapiemethode darauf abzielt, diese zu re-integrieren